Woldemar Seib
* 2.3.1889 Cherson (Ukraine)
Verh. mit Frieda, geb. Steinwand
1908-1912 Theologiestudium in Dorpat/Tartu
† 18.1.1943 bei Tomsk (Sibirien)
S., Sohn des Küsterlehrers Valentin Seib in Südrussland (Ukraine) und Bruder der Pastoren Eduard und Otto Seib, wurde im Oktober 1914 in Kassel, Gouvernement Cherson, Südrussland (Ukraine), ordiniert. Er blieb bis 1922 ebendort als Pastor und ging anschließend von 1923 bis 1928 ins benachbarte Kirchspiel Worms-Johannistal. Dieses war infolge der Aufteilung einer ursprünglich durch den Einfluss des Erweckungspastors Johannes Bonekemper gebildeten „evangeli-schen“ (= unierten) Gemeinde Rohrbach und ihrer Filialen in ein reformiertes und einige lutherische Kirchspiele entstanden. 1928 ging Woldemar Seib nach Dnepropetrowsk (vorher: Jekaterinoslaw) (so ©. LICENBERGER: Evang.-ljut. cerkov’, 5.350; J. SCHNURR: Kirchen, S. 171: auch Nikolajew), wo er am 3.1.1935 verhaftet wurde. Die Anklage lautete auf antisowjetische Tätigkeit, das Urteil auf zehn Jahre Lagerhaft. Er wurde nach Mariinsk bei Tomsk deportiert, wo er im Steinbruch ums Leben gekommen ist. Ein Ausreisebegehren nach Deutschland wurde wie bei seinem Bruder Eduard durch den Widerspruch der Bischöfe Malmgren und Meyer vereitelt. Nur der Bruder Otto Seib hat im Juli 1931 die Sowjetunion verlassen können.
Literatur: E. AMBURGER: Pastoren Rußlands, S. 21 f., 115, 176, 473;
W.KAHLE: Geschichte der ev.-luch. Gemeinden, 5.506, 581, 600, 619;
O. LICENBERGER: Evang.-ljut. cerkov’, S. 266, 350, 353, 424;
B. MENSING/H. RATHKE: Mitmenschlichkeit, $. 304 f.;
J. SCHNURR: Kirchen, 5. 171.
H.-C. Diedrich
Zitiert nach “Ich Ende schaut an...” Evangelische Märtyrer des 20. Jahrhunderts, S. 595f
Gottlieb Schacht
* 26.2.1886 Maidan/Wolhynien (Westukraine)
Verh. mit Maria, geb. Wegner, sechs Kinder
Seit 1913 Grundschullehrer und Pfarrhelfer in Dshankoi
seit 1922 Küster und Lehrer in Marjanka/Shitomir (Rayon Pullin);
1924 als Lehrer abgesetzt
seit 1925 Küster in Krasnaja Retschka/Wologdarskji
seit 1932 auf der Flucht
† vermutl. 1938 oder später
Das junge Ehepaar Schacht siedelte 1913 mit der kleinen Tochter Olga von der Ukraine auf die Krim am Schwarzen Meer um. Dort arbeitete S. als Grundschullehrer und Pfarrhelfer. Durch eine Hungersnot zur erneuten Auswanderung gezwungen, ging S. mit seiner Familie zurück in die Ukraine zu seinem Bruder Friedrich Schacht. Dort in Marjanka war 5. erneut als Lehrer und Küster tätig.
1925 beschaffte Pastor Uhle ihm eine bessere Küsterstelle in Krasnaja Retschka, da die Bezahlung in Marjanka kaum für die inzwischen fünfköpfige Familie ausreichte. Ab 1930 wurde die Unterdrückung der Christen immer stärker. Schließlich durchsuchte die GPU 1932 das Haus der Schachts und beschlagnahmte alle Lebensmittel. Dabei entging S. nur knapp der Verhaftung, musste aber ab diesem Zeitpunkt fliehen. Die Familie wurde boykottiert: Sie durften keine Waren kaufen oder verkaufen und auch nicht aus dem Haus gehen. Die beiden ältesten Kinder Olga und Hugo mussten aufgrund des Gesetzes über religiöse Angelegenheiten vom Januar 1931 das Haus verlassen. Wie allen Kindern von Geistlichen, die das 16. Lebensjahr erreicht hatten, war es ihnen verboten, bei ihrer Familie zu bleiben. Während eines heimlichen Besuchs bei seiner Familie wurde S. zum ersten Mal verhaftet, entging aber dem Gefängnis mit Hilfe eines Bekannten und galt als frei. Er hielt heimlich Gebetsversammlungen und Gottesdienste in seinem Haus ab.
Schließlich wurde er am 3.10.1933 erneut verhaftet, diesmal gemeinsam mit Pastor Uhle, und nach Kiew abtransportiert. Die Familie durfte ihren Vater nicht besuchen und auch die deutsche Botschaft konnte S. nicht helfen, da er kein deutscher Staatsbürger war, allerdings unterstützte sie die Schachts mit Lebensmitteln und einer Geldspende. Am 25.2.1934 wurde S. zu fünf Jahren Arbeitslager verurteilt und in das ehemalige Kloster von Sarow verschleppt. Er wurde dort von seinem Sohn Erich besucht, bevor er 1935 in das Dimitri-Lager gebracht wurde, um beim Bau des Wolga-Moskau-Kanals zu helfen. Am 12.4.1938 erreichte sein letzter Brief aus dem Lager Marinskji seinen Sohn Erich, der sich zu diesem Zeitpunkt bereits auch schon in Gefangenschaft befand:
„Mein liebes Kind Erich, ich schreibe schon ein paar Tage an diesem Brief. Meine Hände zittern und meine Gedanken können sich vor Schwäche und Schmerzen nicht mehr zusammenfassen. Ich spüre, daß es heimwärts geht. So bitte ich unseren lieben Vater im Himmel, er möge mir Kraft verleihen, noch diesen Brief zu Ende zu schreiben. |...| Meine Füße sind schr geschwollen, und das Herz will nicht mehr. Und da dachte ich oft an dich, mein Kind, wo du doch in derselben Lage bist. Du tust mir schr leid, aber der allmächtige Gott wird ja wissen, was zum Besten dient. [...] Mein Herz wünscht, euch alle noch zu sehen, aber hier wird es wohl nicht mehr geschehen. Antworte mir bald. Wie geht es Hugo und Olga? Ich bete viel für sie. Möge Gott sie bewahren. Betet auch fleißig für mich. Seid alle dem Herrn befohlen. Lebt wohl, lebt wohl, ich werde zu meinem himmlischen Vater heimgehen. Dein dich liebender Vater Gottlieb Schacht.“
(E. SCHACHT: In Rußland erlebt, 5. 73 f.)
Der Vater verstarb vermutlich kurze Zeit später. Erich Schacht überlebte jedoch. Er wurde nach 1945 heimlich von Pastor Arthur Pfeiffer in Moskau als Prediger ausgebildet und betreute anschließend viele Gemeinden.
Literatur: B. MENSING/H. RATHKE: Mitmenschlichkeit, 5. 295 t.;
E. SCHACHT: In Rußland erlebt, 5. 11-42, 73 f-
Foto: E. SCHACHT: In Rußland erlebt, 5. 19.
T. Westermeyer
Zitiert nach “Ich Ende schaut an...” Evangelische Märtyrer des 20. Jahrhunderts, S. 592f