Wenn Christen darüber sprechen, dass andere Christen im Zusammenhang mit ihrem Glauben getötet werden, muss dies in christlicher Weise geschehen. Christen können hier einiges mehr und anderes sagen als gesellschaftliche Verantwortungsträger. Christliche Märtyrer sind eben mehr als nur tragische und beklagenswerte Opfer fehlgeleiteter Fanatiker. Eine vom Vertrauen auf Gott und seinem Geist geprägte Perspektive ist hier wichtig. Sie kommt aus einer Beziehung zu Gott. Darum bemüht sich auch diese Ausstellung. Die folgenden Thesen wollen entfalten, wie sich solch ein christlicher „Mehrwert“ äußern kann und welche theologischen Gedanken uns geleitet haben.
1.
Wir müssen bei der Herrlichkeit Gottes anfangen, wenn wir Martyrien deuten wollen. Das stellt alles in den richtigen Rahmen. Durch das Leiden seiner Zeugen wird Gott verherrlicht und er schenkt ihnen Anteil an seiner Herrlichkeit.
2.
Woher bekommen Märtyrer den Antrieb, ihr Leben hinzugeben? Das bewirkt die Liebe, die aus Gott kommt. Diese Liebe gilt sogar den Mördern und Verfolgern.
3.
Christliche Märtyrer sterben, weil sie Jesus Christus nachfolgen. Zur Nachfolge von Christus sind alle Christen berufen. Auch wenn diese Nachfolge nur für einige Christen zum Märtyrertod führt.
4.
Das Martyrium von Christen ist ein Zeugnis vor der nichtchristlichen Welt. Zum Zeugnis für Christus sind alle Christen berufen. Die meisten bezeugen ihren Glauben aber mit Worten und Taten und müssen es nicht mit ihrem Blut tun.
5.
Martyrium ist nicht das Ende von Gottes Möglichkeiten. Menschen denken, mit der Ermordung von Christen werde die Kirche zerstört. Aber Gott kann neues Leben daraus schaffen. Es ist sein Geheimnis, wie er das Sterben seiner Zeugen zum Aufbau seines Reiches nutzt. Solch ein Mysterium können Menschen jetzt nicht verstehen. Vielleicht später, in Gottes himmlischer Welt, wenn Gott uns die Augen auftut.
6.
Wenn wir daran denken, dass Christus versprochen hat, noch einmal auf dieser Erde zu erscheinen, dann fällt ein neues Licht auf Martyrium und Verfolgung von Christen. Wenn Christus als allmächtiger Herrscher und Richter der Welt wiederkommt, hat all das Böse ein Ende, auch die Ermordung und Verfolgung von Christen. Dann ist der strahlende Glanz seiner Herrlichkeit für alle sichtbar. Gottes Gegenwart wird dann heilsam spürbar sein. Das wird alles vorherige Leid überstrahlen. Dann werden Menschen Gott ungehindert loben.
7.
Die Kirche darf die Christen nicht vergessen, die ihr Bekenntnis zu Christus mit dem Leben bezahlt, unter Verfolgung treu ihren Glauben festgehalten oder in besonderer Weise ihren Glauben zu anderen weitergetragen haben. Das gehört alles zusammen. Ihr Leben oder ihr Sterben diente dazu, Gott zu verherrlichen. Wir sollten uns bei allen dafür interessieren, wie Gott diese Christen jeweils gebraucht hat: damit sein Evangelium verkündigt wird, Menschen gerettet werden, seine Kirche aufgebaut, sein Reich ausgebreitet und Gerechtigkeit befördert wird, und wie sie ihren Mitmenschen gedient haben. Sie alle sind herausragende Leitbilder des Glaubens.
8.
Wenn wir uns an die Märtyrer der Vergangenheit erinnern, spornt das an, uns auch heute für bedrängte Christen einzusetzen. Dazu gehören auch die Hinterbliebenen heutiger Märtyrer und ihre Gemeinden. Man kann nicht kirchlich glaubwürdig der eigenen Märtyrer gedenken, ohne sich zugleich für die heute Bedrängten einzusetzen.
9.
Es würde den Mördern der Märtyrer gefallen, wenn keiner von ihren Opfern weiß oder sie einfach in Vergessenheit geraten. Auch deshalb ist es notwendig an die Märtyrer zu erinnern und sie im Gedächtnis zu behalten. Denn vielfach in der Geschichte haben die Täter versucht, ihre Untaten zu verheimlichen oder zu leugnen. Oder sie haben Legenden erfunden, um die wahren Todesursachen zu verschleiern. Sie wollen nicht, dass andere diese Menschen als Märtyrer in Ehren halten. Deshalb erinnert diese Ausstellung auch an Christen, die unter mysteriösen und bis heute ungeklärten Umständen zu Tode kamen.
10.
Wenn Christen an christliche Märtyrer erinnern, dann nicht um ein Feindbild von den Verfolgern aufzubauen. Das wäre eine sehr menschliche Versuchung, aber nicht christlich. Denn Jesus hat seine Nachfolger aufgerufen: „Segnet, die Euch verfolgen!“ Deshalb grenzen wir uns ab von jedem Versuch ein Gedenken an Märtyrer als Waffe gegen die Verfolger zu instrumentalisieren.
11.
Die Märtyrer sind keine Helden. Es geht auch nicht in erster Linie um ihre heroische Tugendhaftigkeit. Sie dürfen nicht idealisiert werden. Auch sie sind von Christus begnadigte Sünder mit Schwächen, Fehlern und Schattenseiten.
12.
Wenn wir an die Märtyrer erinnern, dient das auch dazu, Christen heute bereit zu machen, ihren Herrn Jesus Christus, wenn es sein muss, auch um den Preis ihres Lebens zu bezeugen. Es darf nie nur bei der geschichtlichen Erinnerung bleiben. Die Märtyrer provozieren uns mit der Frage: Worauf ist mein eigenes Leben ausgerichtet? Sie geben uns den Aufruf von Jesus weiter, ihm nachzufolgen, auch wenn es uns alles kostet. Deshalb stellen wir die Lebensgeschichten der Märtyrer so dar, dass Menschen eingeladen werden, auch solch eine innige Beziehung zu Gott zu finden. Wir beten, dass noch mehr Menschen bereit sind, ihre Lebenskraft für Christus einzusetzen und dafür, dass Gottes Reich sich ausbreitet. Es ist Gottes Sache, was er aus solchen hingegebenen Leben zu seiner Ehre macht und welches Maß an Leiden damit verbunden sein wird.
13.
Wenn wir an Märtyrer erinnern, dann wollen wir dabei Christen vieler verschiedenen Prägungen und Traditionen einschließen. Wir sind mit allen verbunden. Deshalb umfasst diese Ausstellung orthodoxe, römisch-katholische, evangelische und freikirchliche Märtyrer.
14.
Im gottesdienstlichen Leben der Kirche braucht das Gedenken an Märtyrer und Bekenner einen festen und konkreten Ort. Eine Ausstellung allein reicht dafür nicht aus. Es kann auch nicht nur dem persönlichen Glaubensleben des Einzelnen überlassen bleiben. Deshalb wollen wir dazu anstiften, dass Kirchen und Christen sich auch in Zukunft regelmäßig an Märtyrer und gegenwärtig verfolgte oder bedrängte Christen erinnern.
Der Religions- und Missionswissenschaftler Prof. Christof Sauer (*1963) war von 2017 - 2022 „Professor für Religionsfreiheit und die Erforschung der Christenverfolgung“ an der Freien Theologischen Hochschule (FTH) in Gießen. Der ordinierte Pfarrer der württembergischen Landeskirche ist zugleich Forschungsdirektor des International Institute for Religious Freedom / der Internationalen Informationsstelle für Religionsfreiheit Deutschland (Tübingen) sowie Gastprofessor für Religions- und Missionswissenschaft der Evangelischen Theologischen Fakultät Leuven (Belgien). In seinem Buch „Martyrium und Mission im Kontext“ (Erlanger Verlag, 2021) hat er die obigen Thesen im Detail biblisch-theologisch entfaltet.